Das große kleine Kind

Das ist Sophia. Sie geht schon in den Kindergarten und ist 3 Jahre und 4 Monate alt. Ihre Mama sagt immer „mein großes Kindergartenkind“ zu ihr. Dann fühlt Sophia sich auch groß. Manchmal ist sie aber auch unsicher und weint noch ein Bisschen, wenn ihre Mama geht und sie im Kindergarten bleiben muss. Dann fühlt sie sich noch klein. Auch beim Anziehen fällt es ihr momentan schwer die Klettschuhe zu schließen, obwohl sie das eigentlich schon kann. Dann fühlt sie sich auch klein. Sophia bekommt einen kleinen Bruder. „Du wirst eine tolle große Schwester!“, sagt Papa oft zu ihr. Dann fühlt Sophia sich wieder groß. Das Ganze bringt sie zum Nachdenken: „Bin ich jetzt eigentlich klein oder groß?“

Im Kindergartenalter fühlen sich viele Kinder, so wie Sophia, im stetigen Wechsel klein und groß. Das beschäftigt sie. Manchmal ist es auch so, dass sie in vielen Situationen gerne nochmal klein wären oder in anderen als großes Kind gesehen werden möchten. Dabei trägt es einen innerlichen und manchmal auch äußerlichen Konflikt aus, indem es sich durch unterschiedliche Verhaltensweisen bemerkbar macht. Während einige Kinder sich wütend auf den Boden werfen, um auf ihren groß-klein-Konflikt aufmerksam zu machen, fangen andere an zu weinen und die eigenen Fähigkeiten anzuzweifeln.

Unterstützung im klein-groß-Konflikt

Ziel dieser Entwicklung ist es die Selbstständigkeit, beziehungsweise Autonomie zu steigern. Dieser Konflikt kann zu einem späteren Zeitpunkt auch noch einmal wieder zurück kehren. Denn das Kind wird einige Situationen durchleben, in denen es für manche Sachen noch zu klein, beziehungsweise zu groß ist oder sich zu klein, beziehungsweise zu groß fühlt. Dabei braucht es die Unterstützung und vor allem Begleitung seiner Bezugspersonen. Zum einen sollte man sich als Bezugsperson bewusst machen, dass das Kind diese Phase in seiner eigenen Geschwindigkeit durchlebt und man keinen Druck ausüben sollte, jedoch auch mal selbst kurz vor der Verzweiflung stehen darf. Es kann die eigenen Nerven strapazieren, da das Kind einige Gefühlsausbrüche haben kann, die es andere mitspüren lässt und somit oftmals provozierend wirkt. Wie das ganz praktisch aussehen kann, zeige ich euch nun an zwei Beispielen von Sophia. Vorweg möchte ich euch jedoch mitteilen, dass dies keine Patentrezepte sind, sondern lediglich Handlungsmöglichkeiten darstellen.

„Das will ich alleine machen!“, sagt Sophia laut, als ihre Mama den Reißverschluss der Jacke zuziehen möchte. „Das darfst du gerne ausprobieren Sophia“, sagt sie dann und lässt die Jacke los. Sie bleibt auf Sophias Augenhöhe und in ihrer Nähe. Sophia versucht es eine ganze Weile den Reißverschluss allein zuzumachen. „Brauchst du Hilfe?“, fragt Sophias Mutter, nachdem sie lange Zeit beobachtet hat, dass die Versuche ihrer Tochter nicht funktionieren. „Nein“, antwortet Sophia und stampft mit dem Fuß auf. „Du weißt, dass du mir sagen kannst, wenn du Hilfe haben möchtest.“, erinnert Sophias Mutter. Sophia schaut sie wütend an und sagt: „Ich will das aber alleine machen Mama!“ Sophias Mutter nickt und antwortet: „Das ist auch in Ordnung. Du brauchst mich aber nicht so wütend anzuschauen. Und ich wünsche mir, dass du freundlicher mit mir sprichst. Ich kann nichts dafür, dass es nicht funktioniert. Ich habe dir Hilfe angeboten und du entscheidest ob du sie annimmst.“ Sophia stampft erneut mit dem Fuß auf und ruft: „Blöde Jacke!“ Sie lässt den Reißverschluss los und sagt: „Ich brauche doch Hilfe. Aber nicht zu viel!“ Sophias Mutter nickt und steckt den Reißverschluss zusammen. Anschließend sagt sie: „Und jetzt kannst du es hochziehen. Das schaffst du ganz bestimmt und alleine.“ Sophia zieht den Reißverschluss zu und lächelt, da sie anscheinend sehr stolz ist, ihr Ziel zumindest halbwegs selbstständig erreicht hat.

„Ich kann das nicht!“, ruft Sophia, als ihre Mutter beim Abholen in der Kindertagesstätte die Straßenschuhe aus dem Regal holt und vor sie stellt. „Ich weiß, dass du das kannst.“, sagt sie, bleibt dabei auf ihrer Augenhöhe und lächelt ihr aufmunternd zu. „Nein. Ich bin zu klein.“, behauptet Sophia und verschränkt die Arme vor der Brust. „Du hast das schon oft geschafft und bereits gelernt.“, entgegnet Sophias Mutter, da sie weiß, dass ihre Tochter in der Lage ist ihre Schuhe selbstständig an- und auch auszuziehen. „Nein!“, sagt Sophia entschieden, „Du sollst das machen.“ Für einen Augenblick überlegt sie kurz, ob sie ihrer Tochter diesen kleinen Wunsch erfüllt, schließlich müssen sie noch einkaufen gehen und haben heute nicht so viel Zeit für Diskussionen. „Wir machen eine Abmachung Sophia. Ich ziehe dir einen Schuh an und du ziehst dir den anderen Schuh an. Ich weiß, dass du das schaffst. Da bin ich mir ganz sicher.“, schlägt Sophias Mutter vor. „Hm, okay.“, sagt Sophia, „Du zuerst.“

In den beiden Situationen hat Sophias Mutter, die eine Bezugsperson symbolisiert, folgende Handlungsstrategien angewendet:

  • Kommunikation auf Augenhöhe, indem sie sich der körperlichen Höhe ihres Kindes anpasst
  • Entwicklungsgemäß kurze Sätze
  • Gestiken, Mimiken und verbale Aussagen, die Mut machen
  • Kompromisse, die das Kind in seiner Entwicklung zur gesteigerten Selbstständigkeit weiter bringen
  • Geduld und Vermittlung eines liebevollen Umgangs

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert