Ben schließt seine Zimmertür mit einem lauten Knall. Dann hört man Emma rufen: „Du bist ein Drückeberger!“ Ben öffnet die Tür wieder und brüllt zurück: „Und du bist ne Zicke!“ Er knallt seine Zimmertür erneut zu. „Mama! Der Ben hat…“ Kommt dir diese Szene auch bekannt vor? Streitende Geschwister sind keine Seltenheit und in den meisten Fällen eine nervenaufreibende Angelegenheit für die gesamte Familie.
Muss das sein?
Um diese Frage zu beantworten, schauen wir uns zunächst erstmal an, wieso es regelmäßigen Geschwisterstreit überhaupt gibt. Die Familie ist der erste soziale Kontakt, den Kinder haben. Da alle Menschen andere Bedürfnisse, Interessen, Persönlichkeiten und Wünsche haben, ist dies auch innerhalb der Familie ein Teil des Zusammenlebens. Die Kinder lernen damit umzugehen, Kompromisse zu schließen, sich durchzusetzen oder nachzugeben und andere zu respektieren. Aber auch mit Niederlagen umgehen zu können ist ein großer Lernprozess. Es geht nunmal nicht immer nach der eigenen Nase, wie man so schön sagt. Dadurch entstehen dann oftmals Konflikte, für die Lösungen gefunden werden müssen. Innerhalb deser Konflikte entstehen auch manchmal Situationen, die man anschließend gerne wieder rückgängig machen würde. Dabei kann das Kind lernen, wie man sich gegenseitig verzeihen kann und sogar entschuldigt. Wie wir sehen können, bietet die Familie also einen Raum mit viel Potenzial, um sich in den sozialen Kompetenzen weiter zu entwickeln. Gerade wenn man in der Familie dann Geschwisterkinder hat, die beide das soziale Leben miteinander erst lernen, existieren auch automatisch Konflikte. Diese sind für die kindliche Entwicklung in vielerlei Hinsicht wichtig. Schließlich sollten Kinder Fähigkeiten erlernen, um in der Gesellschaft leben zu können. Dazu brauchen sie die Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln, die in der Familie ganz praktisch im Alltag zur Verfügung stehen und genutzt werden können, wenn eine Streitkultur gelebt wird. Auf die Streitkultur kommen wir in diesem Beitrag dann später zurück.
Laut, lauter, am lautesten
Spätestens, wenn es im Kinderzimmer lautstark wird, schaut man als Elternteil vorbei, um zu sehen, ob Hilfe benötigt wird oder überhaupt ein ernster Streit entstanden ist. Das wissen auch die Geschwister bereits und versuchen ihren Lautstärkenpegel in die Höhe zu jagen. Dann wird auch oftmals ausgetestet, auf welcher Seite Mama und Papa stehen und um Gerechtigkeit aus der eigenen Sichtweise gekämpft. Eifersucht und Konkurrenz sind unter Geschwisterkindern keine Seltenheit. Ganz egal wie sehr man sich als Elternteil bemüht seinen Kindern möglichst gleichberechtigt gegenüber zu treten.
Wie soll ich als Elternteil darauf reagieren?
Wie oben im Beispiel beziehen die streitenden Kinder ihre Eltern gerne mit ein, wenn sie im Konflikt merken, dass sie nicht mehr voran kommen. Manchmal kommt es auch vor, dass der Geschwisterstreit so ausartet, dass sie fast schon blind vor Wut werden und ihre Eltern nicht mit einbeziehen können, weil diese nicht in ihren Gedanken als potentielle Lösungsmöglichkeit im Vordergrund stehen. Dann ist es wichtig den Moment abzupassen, an dem man als Elternteil von sich aus einschreitet. Es gibt aber auch Konflikte, die man zunächst nicht mitbekommt und sogar erst bei einer Platzwunde von den Kindern darauf aufmerksam gemacht wird. Dann sitzt man in der Notaufnahme und beginnt an sich zu zweifeln und sich Vorwürfe zu machen. Natürlich gibt es aber nicht nur die großen Konflikte mit körperlicher oder lautstarker Auseinandersetzung. Auch das Weinen wegen eines weggenommenen Spielzeuges ist eine Konfliksituation. Wie wir sehen können gibt es sehr viele verschiedene Arten von Konfliksituationen, die auch alle verschiedene Lösungsmöglichkeiten mit sich bringen. Eine Patentlösung wird es dadurch nicht geben können. ABER! Wir können uns anschauen, wie man sich verhalten kann und dann ist es möglich, dass sich jeder etwas daraus mitnimmt, was zu ihm oder ihr und der Situation passt. Wie beim Rosinensuchen in der Nussmischung.
Die Ignorier-Strategie
Wenn man als Elternteil merkt, dass der Konflikt nur entstanden ist, um Mama oder Papa auszutesten oder die Aufmerksamkeit zu erhalten, ist es hilfreich den Raum zu verlassen und zum Beispiel auf die Toilette zu gehen. Allerdings sollte bei dieser Strategie darauf geachtet werden, dass der Streit nicht total eskaliert und mit Gewalt endet. Haben Sie den Streitursprung allerdings richtig erkannt, so wird sich der Konflikt schon fast in Luft auflösen, sobald der Raum verlassen wurde und der Streit keine Wichtigkeit und Aufmerksamkeit erhält.
Die Pause-Strategie
Diese Strategie kann vor allem bei Kleinkindern wahre Wunder bewirken. Ist der Konfliktursprung ein Spielzeug oder Gegenstand den beide Kinder begehren und keine einzige vorgeschlagene Konflikt- Lösung wird angenommen? Dann weg mit dem Konfliktursprung. „Der Bagger macht jetzt mal eine Pause.“ Mit diesen Worten, die ruhig ausgesprochen werde, wird dann in diesem Fall der Bagger, der den Konfliktursprung symbolisiert, auf einen Schrank gestellt.
Die Ablenkungs-Strategie
Auch bei dieser Strategie sind Kleinkinder die bevorzugte Zielgruppe. Konfliktinhalt ist die Ausgrenzung eines Geschwisterkindes. Das Elternteil fungiert dann als neuer Spielpartner, der ein spannendes neues Spiel oder eine Aktivität startet. Daran dürfen dann natürlich auch die anderen Kinder teilnehmen. Schließlich hat man eine Vorbildfunktion. Das sollte auch so benannt werden. „Es ist doch viel schöner, wenn wir etwas gemeinsam machen und keiner ausgegrenzt wird oder?“
Die Tausch-Strategie
Ein abgenommenes Spielzeug ist fast schon der häufigste Streit-, beziehungsweise Konfliktursprung, den es gibt. Da Kleinkinder oft noch keine eigenständigen Konfliktlösungsstrategien haben und diese erst sammeln und strukturieren müssen, bevor sie angewendet werden können, ist es wichtig, dass man als Elternteil zum Beispiel die Tausch-Strategie vorschlägt. „Wir tauschen. Ben gibt dir sein Auto, wenn du ihm einen deiner Autos abgibst.“ Natürlich sollte vorher mit den Kindern geschaut und gesprochen werden, um was es geht und ob diese Konfliktlösung Sinn ergibt.
Die Schiedsrichter-Strategie
Diese Strategie eignet sich vor allem für Kindergarten- und Vorschul- Kinder. Hierbei ist das Elternteil eine neutrale Person, die den Konflikt einfach nur begleitet und darauf achtet, dass gewisse Regeln eingehalten werden. Zum Beispiel, dass keine Gewalt angewendet wird und jeder aussprechen darf. Ziel ist es, dass die Kinder am Ende des Konfliktes selbstständig einen gemeinsamen Kompromiss gefunden haben. Hilfreich ist bei der Kompromissfindung, dass folgender Ablauf eingehalten wird:
- Zu den streitenden gehen, sich auf die Augenhöhe begeben und so platzieren, dass kein Kind eine räumlich gesehene Unterstützung erhält. Ganz konkret bedeutet das, dass die Kinder sich gegenüber sind und das Elternteil weder mehr beim einen Kind, noch beim anderen ist. Nehmen wir an, dass es zwei Geschwisterkinder sind, die sich auf dem Boden sitzend um einen Baustein streiten. Dann setzt sich das Elternteil so hin, dass ein Dreieck entsteht, wobei jeder eine Ecke darstellt.
- Die Kinder schildern den Streitursprung nacheinander und lassen sich gegenseitig ausreden. Dabei werden am besten Ich-Sätze formuliert. Zum Beispiel: „Ich möchte den Baustein haben. Deshalb habe ich ihn mir genommen. Als er mir weg genommen wurde, war ich traurig und wütend. Dann habe ich ihn mir wieder zurück genommen.“ Du-Sätze, wie zum Beispiel „Du hast mir den Baustein weg genommen“ rufen meist einen erneuten Streit hervor. Aufgabe des Schiedsrichters ist dabei darauf zu achten, dass jeder ausreden darf und alle Beteiligten sich geäußert haben. Zudem kann diese Person, beziehungsweise sie sollte, beim Formulieren der Ich-Sätze unterstützen.
- Nun ist die Konfliktlösung an der Reihe. Das Schiedsrichter- Elternteil achtet darauf, dass der Kompromiss allen Beteiligten im Idealfall gefällt, beziehungsweise, dass durch den Kompromiss kein erneuter Konflikt entsteht.
Streitkultur
Damit eine Streitkultur in der Familie entstehen kann, brauchen Kinder Vorbilder und diese sind in diesem Fall ihre Eltern. Sich vor seinen Kindern nie zu streiten ist zwar für viele eine gute Methode, aber in diesem Fall nicht der ideale Ansatz. Doch nicht jeder Streit eignet sich, um ihn vor den Augen und Ohren der Kinder auszutragen. Das sollte vorher durchdacht werden. Wichtig ist, dass sie sich dann innerhalb des Konfliktes gegenseitig respektieren, einander zuhören und ausreden lassen, am besten eine Lösung finden und niemals gewalttätig werden. Letzteres müsste ich wahrscheinlich eigentlich gar nicht erwähnen. Findet man einmal keine Konfliktlösung so ist es ratsam, nicht wütend auseinander zu gehen, sondern sich darauf zu einigen, dass dieser Konflikt verschoben werden sollte und man sich dennoch lieb hat. Auch sich zu entschuldigen und einander zu verzeihen sind elementar für die Vorbildfunktion von Bedeutung.